Papa, ich hätte mir gewünscht …

„Papa, ich hätte mir gewünscht, diesen Film nicht anzuschauen“, sagt ein 5 Jahre alter Junge, nachdem ihm sein Vater einen Film ab 6 Jahren zumutete. Jetzt würde er Alpträume bekommen und nicht gut schlafen können. Offensichtlich war der Kleine überfordert mit den Inhalten. Aus guten Gründen stellen Eltern sich die Frage, in wieweit das eigene Erziehungsverhalten und die Lebensumstände, die Entwicklung der Kinder beeinflusst. In meiner Praxis suche ich eine Antwort darauf, indem ich die Frage an die Klienten weiterreiche: “Was glaubst du? Kannst du dir aus deinem Lebenslauf heraus erklären, weshalb du heute Probleme hast, mit einem Bein im Gefängnis stehts oder Drogen konsumierst? In der Entwicklungspsychologie sprechen wir von Risiko- und Schutzfaktoren, um zu beschreiben, wie wahrscheinlich es ist, eine psychische Erkrankung in der Pubertät oder später zu entwickeln. Risikofaktoren gibt es viele, einige sind im folgenden Text aufgelistet.

Ein Mädchen (16) erzählt: „Wenn es meine Eltern geschafft hätten, weniger zu streiten, und zusammen geblieben wären, dann würde es mir heute besser gehen und ich würde keine Drogen nehmen.“ „Wenn ich zurückschaue, hätte ich mir gewünscht, dass mir meine Eltern mit sechs Jahren keine Playstation kaufen, dann hätte ich vielleicht etwas Sinnvolles mit meiner Zeit gemacht.“ Marina (14), „wenn ich damals hätte sprechen können, hätte ich mir gewünscht, im Alter von einem Jahr bei meiner Mama bleiben zu können und nicht schon so früh in eine Kinderkrippe gegeben zu werden. Ein 16 Jahre alter Junge: „Hätte ich mir nicht ständig 187 angehört, wäre ich bestimmt nicht kriminell geworden.“ Ein junger Mann von 20 Jahren: „Ich hätte mir gewünscht, dass mein Vater seine Erziehungspraktiken überdenkt, und mich nicht fast jede Woche halb tot prügelt, dann wäre ich heute kein schwerer Alkoholiker.“ Paul (14) meint: „Ich hätte mir gewünscht, dass die Lehrerinnen in der Schule darauf geachtet hätten, dass auf dem Schulhof keine Drogen verkauft werden, dann hätte ich nicht schon mit 13 Jahren angefangen Cannabis zu konsumieren.“ Peter (17): “Hätte meine Mutter in der Schwangerschaft nicht geraucht, dann müsste ich heute kein Ritalin nehmen.”

Was hätten Sie sich als Kind gewünscht?

Die Forschung nennt viele Risikofaktoren, schränkt aber auch ein, dass ein einzelner Vorhersagefaktor spätere Auffälligkeiten nicht alleine erklären kann. Es sind mehrere Risikofaktoren bei mangelnden Schutzfaktoren die aufeinandertreffen müssen, um z.B. eine Substanzabhängigkeit zu erklären. Bei der Alkoholabhängigkeit haben wir z.B. auf der Seite der Risikofaktoren: Verfügbarkeit, kulturell und rituell vergesellschaftet, autoritärer Erziehungsstil, unsichere Bindung, wahrgenommener Peerdruck, Unfähigkeit sich abzugrenzen, geringer Selbstwert, belastetes Familienumfeld. Und auf der Seite der Schutzfaktoren: Intelligenz, soziale Kompetenzen, emotionale Unterstützung von Erwachsenen, Wendepunkte im Leben (z.B. Beginn einer Ausbildung, oder Vollendung des 21. Lebensjahres) Es ist also nicht so einfach eine eindeutige “Geschichte” des aktuellen Zustandes zu erfinden und es wäre sicherlich zu kurz gegriffen, zu sagen, dass eine unsichere Bindung zu den Eltern eine Suchterkrankung zur Folge hat. Möglicherweise hat ein Ereignis das Fass zum Überlaufen gebracht – wie z.B. die Wahl einer problematischen Peergroup oder eben die oben von den Jugendlichen genannten möglichen Gründe.

Wenn wir als Gesellschaft auf eine positive Entwicklung hinwirken wollen, psychische Erkrankungen reduzieren, ein friedliches Miteinander realisieren, eine sichere Gesellschaft garantieren wollen, dann sollten wir gemeinsam daran arbeiten, dass Mütter während der Schwangerschaft nicht konsumieren, dass Kinder in den ersten beiden Lebensjahren sichere Bindungen an die Eltern etablieren, dass Eltern einen angemessenen Erziehungsstil pflegen (autoritative Erziehung), dass Sie über die Pubertät hinaus weiterhin ihre Kinder gut begleiten, ermutigen und begrenzen (elterliches Monitoring), dass die Gesellschaft die Verfügbarkeit von Alkohol, Nikotin und Drogen reduziert, dass Eltern gesunde Werte gegenüber den manipulativen Einflüssen von außen verteidigen und durchsetzen, dass die Gesellschaft die Kooperation, das Gespräch und die konstruktive Konfliktlösung in den Vordergrund aller Bestrebungen stellt, dass die Gesellschaft gesunde Perspektiven anbietet und gerade Familien genügend Ressourcen bereitstellt um oben genannte Herausforderungen gut zu bewältigen.


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